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Neue DGB-Broschüre zur Arbeitsmarktpolitik

Sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik jetzt!

Mit einem starken Sozialstaat aus der Krise

Wir befinden uns gerade in einer Umbruchsituation. Nach Jahren des Aufschwungs am Arbeitsmarkt mit kontinuierlichem Beschäftigungszuwachs und realen Lohnzuwächsen – infolge guter Tarifabschlüsse – zeigt Corona wie im Brennglas, wie schnell heute nicht mehr gilt, was gestern noch als verlässlich und planbar erschien.

Viele Menschen machen sich seit Monaten existenzielle Sorgen: Wie komme ich in und nach der Krise finanziell über die Runden? Bleibt mein Arbeitsplatz erhalten? Was wird aus mir und meiner Familie, wenn ich den Job verliere? Kann ich meinen Lebensstandard halten? Bekomme ich eine Chance auf eine neue berufliche Perspektive, was kann das sein und schaffe ich das? Bekommen meine Kinder eine Ausbildung und Chancen für die Arbeit von morgen? Trägt unser Sozialstaatsmodell auch in der nächsten Krise? Oder kommt nun der nächste soziale Kahlschlag und was bringt uns Europa?

Hinzu kommt, dass viele schon vor der Krise den Umbruch gespürt haben. Die Herausforderungen der Transformation hin zu einer emissionsarmen und digitalen Wirtschaft bleiben bestehen. Es ist schon jetzt zu beobachten, dass Digitalisierungsprozesse beschleunigt werden. Berufsprofile, Tätigkeiten und Qualifikationsanforderungen werden sich in zunehmendem Tempo wandeln.

Noch offen ist die Frage, inwieweit Substituierbarkeitspotentiale, also das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen durch neue Technologien, mittelfristig ausgeschöpft werden. Die OECD hat für Deutschland ein Automatisierungsrisiko von 18 Prozent bis zum Jahr 2030 berechnet. Es ist zu erwarten, dass infolge der Corona-Krise Möglichkeiten zur Automatisierung eher ausgeschöpft werden.

Trotz der heftigen Wucht des Lockdowns konnten massenweise Arbeitsplätze gesichert werden. Doch das trifft leider nicht für jeden Arbeitsplatz zu. Infolge der Corona-Krise stieg die Zahl der Arbeitslosen im Juni gegenüber dem Vorjahr um rund 637.000 auf 2,853 Millionen Betroffene an. Darunter sind im Hatz-IV-System 206.000 Arbeitslose mehr als im Vorjahr gemeldet. Besonders bitter: die Jugendarbeitslosigkeit (unter 25 Jahre) ist im gleichen Zeitraum um über 40 Prozent gestiegen!

Die Krise hat auf brutale Art und Weise gezeigt: Dort, wo vor der Krise Sicherungslücken, Ausbeutung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse bestanden, waren die Menschen der Krise und dem Virus besonders ausgeliefert. Hart getroffen wurden vor allem Geringqualifizierte, Niedriglöhner*innen, Minijobber*innen, Soloselbstständige und ausländische Beschäftigte – insbesondere in der Fleischindustrie und im Bereich der Erntehilfe.

All die Erfahrungen und Verwerfungen zeigen, wie wichtig und stabilisierend ein guter und solider Sozialstaat ist. Aus der Krise für die Zukunft lernen heißt, Lücken, die sich gezeigt haben, zu schließen und ein umfassendes Netz der sozialen Sicherung, also auch zur Sicherung der Fachkräftebasis und unseres Wirtschaftsstandorts, zu spannen. Ein solidarisches Miteinander und eine faire Lastenverteilung sind Grundprinzipien des Sozialstaats. Die Finanzierung der Krisenkosten und der Neustart nach der Krise müssen denselben Prinzipien folgen. Der Sozialstaat muss geschützt, gestärkt und weiterentwickelt werden. Dazu gehört zwingend, dass die Arbeitslosenversicherung gerade auch für die Herausforderungen der Transformation zu einer emissionsarmen und digitalen Wirtschaft handlungsfähig bleibt und über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügen kann.

Ziel muss sein, alle Erwerbstätigen in Guter Arbeit mitzunehmen und niemanden abzuhängen. Wir müssen gemeinsam um die Sicherung von Arbeitsplätzen und um den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch Qualifizierung unserer Kolleg*innen sowohl in der Corona-Krise als auch in der Transformation kämpfen. Dies gilt ganz besonders auch für diejenigen, die es am Arbeitsmarkt schwerer haben. Damit das gelingt, brauchen wir eine Sternstunde der Arbeitsmarktpolitik.

Anja Piel
Mitglied des geschäftsführenden
Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes

Quelle: Sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik jetzt!

Aus Corona lernen heißt:
Weichenstellung für soziale Gerechtigkeit und
Aufstiegsmobilität in Zeiten des Umbruchs

13 Reformansätze als Ergänzung zum Konjunkturpaket

DGB Bundesvorstand | Abteilung Arbeitsmarktpolitik | Juli 2020


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Qualifizierung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 03.09.2020