Grundsätzliches zur Weiterbildung

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Öffentliche Finanzierung der Weiterbildung

8. Schlussbemerkung

Ziel dieses Gutachten ist es, die unterschiedlichen Vorschläge zu einer öffentlichen Finanzierung an Hand der im Detail wenig bekannten Erfahrungen in Schweden, Frankreich und Österreich und ihrer Anschlussfähigkeit an die deutsche Förderkulisse zu prüfen und auf dieser Basis Vorschläge zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zu entwickeln. Dazu war eine Auswahl aus dem diskutierten breiten Instrumentenkasten notwendig. Leitschnur dieser Prioritätensetzung waren die sieben Kriterien der Lebenslauforientierung, sozialen Gerechtigkeit, Inklusivität der Förderung, Vermeidung einer Verdrängung bereits bestehender gut funktionierender Finanzierungsstrukturen, Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Instrumenten, Zielgenauigkeit ohne Konkurrenz mit anderen Zielen (Tinbergen-Regel) sowie Chancen auf eine politische Umsetzbarkeit.

Auf dieser Basis wurde vorgeschlagen, vor allem die beiden bestehenden „Tanker“ in der öffentlichen Weiterbildungsförderung, das BAföG-System und die Weiterbildung in den beiden Rechtskreisen der Arbeitsmarktpolitik, auszubauen. Mit relativ wenigen Stellschrauben, wie der Aufhebung der starren Altersgrenzen im BAföG, lassen sich diese Systeme zu einem schlüssigen Gesamtsystem, in dem beide Fördersysteme besondere Aufgaben ohne wesentliche Überschneidungen erfüllen, zusammenführen. Das BAföG, zusammen mit dem AFGB, dient der Förderung der unterschiedlichen Weiterbildungsmaßnahmen, die aus eigener Initiative ergriffen werden. Sie reichen vom Nachholen von Schulabschlüssen, über eine Berufsausbildung und einer Aufstiegsfortbildung bis hin zu einem Studium, also Maßnahmen die alle in unterschiedlichen Lebensphasen und auch begleitend zur Erwerbsarbeit absolviert werden können. Die Gründe dieser individuellen Bildungsentscheidungen sind vielfältig. Sie reichen von der Verbesserung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit, über die eigene Karriereentwicklung bis hin zu Wünschen nach einer interessanteren Arbeit oder einer Verbesserung der Work-Life-Balance.

Das zweite große Standbein geht von der Notwendig- und Zweckmäßigkeit der Weiterbildung aus, die sich aus Entwicklungen des Arbeits-marktes ergibt. Dabei geht es einerseits um die Verbesserung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit, die Voraussetzung einer nachhaltigen Vermittlung ist, und andererseits um die Deckung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft. Da der Arbeitsmarkt auch von konjunkturellen und strukturellen Krisen geprägt ist, bedarf es neben dem Tagesgeschäft der Verbesserung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitslosen oder der von Arbeitslosigkeit Bedrohten sowie der Schließung von Fachkräftelücken auch temporärer Kriseninterventionen. Zudem gewinnt bei langfristigen Veränderungen der Qualifikationsanforderungen die präventive Weiterbildung zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit an Bedeutung.

Während im BAföG und AFGB die Stabilität der Förderbedingungen eine Voraussetzung für die Planung individueller Bildungsverläufe ist, muss die Arbeitsmarktpolitik zusätzlich rasch und wenn nötig auch massiv, wie in der Finanzkrise, auf Veränderungen des Arbeitsmarktes reagieren.

Das besondere Augenmerk lag hier auf der Entwicklung eines stimmigen Gesamtvorschlags zur öffentlichen Finanzierung der Weiterbildung. Diese müssen ergänzt werden durch die eine vorausschauende Personalpolitik der Unternehmen, tarifliche Vereinbarungen zur Weiter-bildung und auch Fondsregellungen in Branchen mit einem Marktversagen bei der Qualifizierung ihrer Beschäftigten, wie etwa der Pflege oder dem Bauhauptgewerbe.

Um die Weiterbildungsteilnahme, insbesondere der benachteiligten Gruppen, auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen, bedarf es aber weiterer, über die Finanzierung hinausgehender Maßnahmen. Eine der zentralen Rahmenbedingungen, nämlich das Recht auf Freistellung für Vollzeit- oder Teilzeitmaßnahmen, habe ich in die Vorschläge aufgenommen.
Auf mehrere andere Erfolgsbedingungen wurde hier nicht näher eingegangen. Es sind vor allem eine gute Weiterbildungsberatung, eine effiziente Infrastruktur von Bildungsträgern und zwar nicht nur in den Ballungsgebieten sowie eine hohe Qualität der Bildungsangebote.

Schließlich müssen auch die Rahmenbedingungen für eine zwischenbetriebliche Mobilität verbessert werden. Arbeitsplätze gehen heu-te vielfach in tarifgebundenen Betrieben verloren, während neue in den tariffreien Zonen entstehen. Das hohe Lohngefälle zwischen den wach-senden und den schrumpfenden Bereichen fördert die Angst vor dem Strukturwandel und hat sich zu einer gravierenden Barriere freiwilliger Mobilität und auch den damit verbundenen Bildungsentscheidungen entwickelt. Durch eine Erhöhung der Tarifbindung, die mittlerweile in Westdeutschland auf 57 % und in Ostdeutschland sogar auf nur noch 44 % abgesunken ist (WSI Tarifarchiv 2019), muss das Lohngefälle zwischen den Betrieben und Branchen vermindert werden (Bosch 2017b). Wie wichtig ein geringes Lohngefälle ist, belegen die skandinavischen Länder. Das Geheimnis ihrer „Flexicurity“ liegt in der Kombination von guten Möglichkeiten lebenslangen Lernens und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik mit einem Lohnsystem, das die Risiken von Betriebswechseln vermindert.


Quelle: „Öffentliche Finanzierung von Weiterbildung im Strukturwandel“ von Gerhard Bosch ist lizenziert unter Creative Commons Attribution 4.0 (BY).
Veröffentlicht als Working Paper Nummer 158 der Hans Böckler Stiftung, Oktober 2019.

Schlagworte zu diesem Beitrag: Berufliche Weiterbildung, Öffentliche Beschäftigungspolitik, Meister-BAföG
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 02.11.2019