Grundsätzliches zur Weiterbildung

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Für eine sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik

DGB-Vorschläge zur Neuausrichtung der Arbeitsförderung

Weiterbildung Arbeitsloser und Beschäftigter ausbauen

Strukturelle Veränderungen im Berufsleben, die oft mit häufigem Wechsel zwischen Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Familienphasen verbunden sind, werden weiter zunehmen. Die betriebliche Weiterbildung von Beschäftigten ist zwar gestiegen, im internationalen Vergleich ist sie jedoch weiter völlig unzureichend. Nach wie vor sind es insbesondere die höher qualifizierten, männlichen Beschäftigten, die an Weiterbildungen teilnehmen: Von den Beschäftigten mit Tätigkeiten, die einen Hochschulabschluss erfordern, nahm rund jede/r Zweite an Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung teil. Bei den Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten war es nur knapp jede/r Siebte. Unterdurchschnittlich ist auch die Weiterbildungsbeteiligung der älteren Beschäftigten. Zwar ist die Teilnahmequote der Älteren in den letzten Jahren gestiegen; dennoch lag sie 2011 etwa fünf Prozentpunkte unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Eine Beschäftigung bis zum gesetzlichen Ruhestand kann nur erreicht werden, wenn neben der gesundheitlichen Situation auch die bildungspolitischen Rahmenbedingungen verbessert werden.

Für die Weiterbildung von Beschäftigen sind in erster Linie die Betriebe verantwortlich. Jedoch wird die hohe Flexibilität in der Wirtschaft tendenziell zu einer Verringerung der Bindung zwischen Beschäftigten und Unternehmen führen. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen werden die Unternehmen ihre Qualifizierungsanstrengungen noch weiter auf den Kern der Stammbelegschaft beschränken. Dieser Entwicklung gilt es, gesamtgesellschaftlich entgegenzuwirken, ohne die Unternehmen aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Die Arbeitsmarktpolitik allein wird einen Umschwung dieser Entwicklungsperspektive genauso wenig schaffen, wie sie die fehlenden Initiativen der Unternehmen wird ersetzen können.

Die Arbeitsmarktsituation von Personen ohne Berufsabschluss wird mittelfristig weiterhin prekär bleiben. Durch den hohen Anteil Jugendlicher ohne Berufsausbildung wird das Angebot an Geringqualifizierten um rund 1,3 Millionen über der erwarteten Nachfrage liegen. Mit dem BA-Sonderprogramm WeGebAU werden Defizite betrieblicher Weiterbildung für Geringqualifizierte und ältere Beschäftigte kompensiert und die Weiterbildungsbereitschaft der Betriebe gefördert. Das Programm wurde auf Initiative der Arbeitnehmerseite in der Selbstverwaltung der Arbeitslosenversicherung gestartet und hat eine wichtige Schrittmacherfunktion zur Förderung von Zielgruppen.

Die Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik sind in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken. In diesem Zuge ist auch die berufliche Fortbildung kontinuierlich um etwa ein Drittel seit 2009 heruntergefahren worden. Aktuell ist wieder ein Ansteigen der Teilnehmerzahlen an Qualifizierung zu verzeichnen. Abschlussorientierte Weiterbildungen sind jedoch weiterhin auch wegen der finanziellen Bindungen für die Folgejahre nur unterrepräsentiert. Hier schlägt die Trennung der Arbeitsmarktpolitik in zwei Rechtskreise ganz konkret durch, welche eine stabile, am Einzelfall ausgerichtete Integration erschwert, weil die Systeme jeweils nur für Phasen der Arbeitslosigkeit zuständig sind.

Der 2002 eingeführte Bildungsgutschein, mit dem das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Förderung bescheinigt wird, sollte Arbeitslosen die Möglichkeit eröffnen, den Bildungsanbieter selbst zu wählen. In der Praxis hat sich jedoch heraus gestellt, dass zum einen bereits bei der Vergabe von Bildungsgutscheinen ein selektives Vorgehen zu beobachten ist. Personen ohne Schul- und/oder Berufsausbildungsabschluss erhalten wesentlich seltener einen Bildungsgutschein, als Personen mit sowohl Schul- als auch Berufsabschluss. Zum anderen sind geringer qualifizierte Personen ohne begleitende Unterstützung oft nicht in der Lage, Bildungsgutscheine effektiv zu nutzen.

Es ist zudem zu befürchten, dass Bildungsträger auf Grund der an sie gerichteten Erwartung einer hohen Integrationsquote gerade Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen und/oder mit niedrigen oder ohne Bildungsabschluss keine Teilnahme an Maßnahmen ermöglichen. Damit wären gerade die sozialpolitisch bedürftigsten Personen in mehrfacher Hinsicht benachteiligt.

Die Teilnehmerzahl ist vor dem Hintergrund der individuellen Entscheidung der Teilnehmenden für die Bildungsträger schwer zu planen. Das Risiko der Minderauslastung muss bei der betriebswirtschaftlichen Kalkulation berücksichtigt werden, wodurch die Preise steigen.

Arbeitsmarktdienstleistungen sind im deutschen Recht dem Wettbewerb unterworfen. Die derzeitigen Regelungen zur Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen haben zu schweren Verwerfungen geführt und sind nicht geeignet, dauerhaft eine hohe Qualität der sozialen Dienstleistungen zu gewährleisten. Vor allem die Arbeitsbedingungen bei den Trägern sind zunehmend prekär geworden, die Arbeitsplätze unsicher, die Löhne unangemessen niedrig, und es wird vielfach mit Honorarkräften gearbeitet. Unter den gegebenen Umständen ist es für die Träger immer schwieriger, qualifiziertes Personal anzuwerben und längerfristig zu binden. Die Rahmenbedingungen müssen deswegen so verändert werden, dass qualifiziertes und motiviertes Personal gehalten werden kann. Ziel der Politik sollte sein, dass beauftragte Träger längerfristig mit der Durchführung von Maßnahmen betraut werden, Förderketten gestärkt und Maßnahmen sinnvoll aufeinander abgestimmt werden. Durch längerfristige Beauftragung haben die Träger die Möglichkeit, Erfahrungswissen zu erwerben, Netzwerke aufzubauen und die entsprechenden Kontakte zu Arbeitgebern herzustellen.

Beide Steuerungsverfahren (Gutschein und Ausschreibung) müssen weiter verbessert werden, insbesondere hinsichtlich der individuell sinnvollen Auswahl (Beratung beim Gutscheinverfahren) beziehungsweise der Qualitätssicherung (Ausschreibung). Gerade für die Qualifizierung bildungsfernerer Personengruppen sind Auftragsmaßnahmen sinnvoll, für die eine eindeutige gesetzliche Grundlage geschaffen werden sollte.


Deshalb schlagen wir vor:
  • Das BA-Sonderprogramm WeGebAU soll dauerhaft fortgesetzt werden, weil es dem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko der Zielgruppen Ältere und Geringqualifizierte entgegenwirkt. Eine stärkere Unterstützung abschlussbezogener Qualifizierungen ist sinnvoll. Es sollte auch im Hartz-IV-System etabliert werden. Zudem wird vorgeschlagen, WeGebAU auf die Beschäftigten auszuweiten, die nur über eine zweijährige Ausbildung verfügen oder die in den letzten Jahren unter ihrem Qualifikationsniveau gearbeitet haben.

  • Es muss eine Weiterbildungsförderung für Beschäftigtengruppen geschaffen werden, die aufgrund ihrer geringen Betriebsbindung bislang unzureichend von betrieblicher Weiterbildung profitieren. Die Unternehmen sind an den Kosten dieser Förderung zu beteiligen, etwa durch eine Fondsfinanzierung innerhalb einer Wirtschaftsbranche. Sofern tarifvertraglich abgesicherte Finanzierungen vorliegen, sollte gezielt für Personengruppen mit hohem Arbeitsmarktrisiko eine öffentliche Kofinanzierung vorgesehen werden.

  • Die Qualifizierungsberatung der Arbeitsagenturen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) muss qualitativ ausgebaut werden. Das betrifft die Anzahl und Qualifizierung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Qualifizierungsberatung wie auch den Beratungsumfang. Hier kann der Blick auf unterschiedliche Beschäftigte im Unternehmen, wie zum Beispiel auf Teilzeit- im Vergleich zu Vollzeitkräften, (gleichstellungspolitisch) geschärft werden.

  • Der Erwerb von Berufsabschlüssen mit guten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen der Qualifizierungsförderung muss in beiden Rechtskreisen wieder einen höheren Stellenwert erhalten. In diesem Sinn muss der Vorrang der Vermittlung in Arbeit (§ 4 SGB III) in ein sachgerechtes Gleichgewicht zur Höherqualifizierung, und damit zur längerfristigen beruflichen Entwicklung, gebracht werden. Das Zielsystem muss so ausgerichtet sein, dass dieses Anliegen unterstützt und nicht behindert wird.

  • Ein festes Budget für Qualifizierung sollte insbesondere auch im Hartz-IV-System eingerichtet werden. So wird ein finanzieller Rahmen für Qualifizierung vorgegeben. Im Fokus sollte die Ausbildung in Kernberufen stehen, in denen breite Grundlagenkenntnisse vermittelt werden. Diese bieten die Grundlage für den weiteren lebensbegleitenden Lernprozess.

  • Weiterbildung muss sich lohnen. In beiden Rechtskreisen sollte bei Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme neben dem Arbeitslosengeld eine pauschale Aufwandsentschädigung beziehungsweise eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung in Höhe von mindestens zehn Prozent (mindestens aber 100 Euro) und eine Abschlussprämie nach dem Erwerb des Berufsabschlusses gezahlt werden. Die Aufwandsentschädigung sowie die Prämie sollen nicht als Einkommen auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden. So können gezielte Anreize gesetzt werden.

  • Erwachsene Arbeitslose ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder mit einer Berufsausbildung, die auf dem Arbeitsmarkt nicht nachgefragt wird, benötigen eine „Zweite Chance“. Mit dem auf Betreiben der Gewerkschaften in der Selbstverwaltung der Arbeitslosenversicherung neu aufgelegten Programm „Perspektiven für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss“ sollen junge Erwachsene im Alter zwischen 25 bis unter 35 Jahren beim Nachholen eines Berufsabschlusses gefördert werden. Die Finanzierung erfolgt derzeit aus den Eingliederungsbudgets der Arbeitsagenturen oder Jobcenter. Um das Programm im Hartz-IV-System, in dem fast jede/r zweite Arbeitslose keinen Berufsabschluss hat, zur Wirkung zu bringen, sollte der Bund das Eingliederungsbudget der Jobcenter gezielt für Nachqualifizierungsmaßnahmen verstärken. Dies sollte mindestens über einen Zeitraum von fünf Jahren erfolgen, in denen pro Jahr zusätzlich 150 bis 200 Millionen Euro bereitgestellt werden. Im Koalitionsvertrag bekennen sich die Regierungsparteien dazu, das Programm „Zweite Chance … engagiert fort(zu)führen“. Bessere finanzielle Rahmenbedingungen sollen die Bereitschaft und das Durchhaltevermögen junger Erwachsener fördern.

  • Die Bildungsgutscheine sind nur dann sinnvoll, wenn sie einer Selektion zu Lasten Bildungsbenachteiligter entgegenwirken. Hierzu ist eine umfassende Beratung und Unterstützung von Personen mit besonderen Problemen notwendig, um eine passgenaue individuelle Eingliederungsmaßnahme zu finden. Eine Aufstellung aller zugelassenen, regionalen Anbieter in Verbindung mit einer qualifizierten Beratung, soll den Entscheidungsprozess der mit einem Gutschein Geförderten unterstützen. Darüber hinaus sollten Maßnahmen mit einem festen Kontingent und fester Zuweisung von Teilnehmenden durch die Agenturen oder Jobcenter ausgeweitet werden.

  • Die Weiterbildungsberatung und -begleitung für Arbeitslose und Beschäftigte durch die Bundesagentur für Arbeit sollte ausgebaut werden. Die Beratung muss auf Grundlage der individuellen Wünsche und Fähigkeiten der Beschäftigten und des zu erwartenden Bedarfes auf dem (regionalen) Arbeitsmarkt erfolgen, ohne Rollenstereotype zu verstärken. Sie sollte auf Wunsch der Versicherten ein Profiling mit einer Kompetenzanalyse beinhalten. Die Beratung muss motivieren, die individuellen Potenziale zu erschließen und die Hilfen der Bundesagentur für Arbeit oder anderer Einrichtungen aufzeigen.

  • Die Vergabepraxis muss so geändert werden, dass der Wettbewerb der Anbieter nicht zu Lasten der Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche ausgetragen wird und die Qualität der Maßnahmen nicht leidet. Im Rahmen einer Vorprüfung muss sichergestellt sein, dass Maßnahmen der Arbeitsförderung nur von Unternehmen ausgeführt werden, die bestimmte tarifliche und qualitätsorientierte Standards erfüllen. Dies gilt auch für das Personal. Mindestvoraussetzungen sind eine funktionierende Infrastruktur, Einbindung des Anbieters in die Strukturen des örtlichen und regionalen Arbeitsmarktes sowie ein pädagogisches und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept, in dem zielgruppengerechte Personalschlüssel und Fördermethoden verankert sind. Die mit der besseren Qualität verbundenen Kosten müssen refinanziert werden. Die mit dem Koalitionsvertrag avisierten Vorhaben reichen nicht aus, um die Qualität von Arbeitsmarktdienstleistungen zu gewährleisten.

    Mit der Siebten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge kann zukünftig das Erfahrungswissen der Träger auch als Qualitätsmerkmal bei der Zuschlagserteilung berücksichtigt werden. Dies stärkt Träger, die bereits im örtlichen Markt aktiv sind. Allerdings erhalten die Träger allein durch diese Änderung noch keine Planungssicherheit. Deswegen ist es notwendig, dass auch die Bundesagentur für Arbeit ihre Vergabepolitik ändert und eine längerfristige Zusammenarbeit mit den Trägern vereinbart. Unklar ist an den vorgeschlagenen Änderungen zudem, wie der Erfolg und die Qualität der bisherigen Maßnahmen gemessen werden soll. Deswegen ist es wünschenswert, bezifferbare Kriterien zur Messung von Erfolg und Qualität der Maßnahmen zu entwickeln. Die Änderungen bei den Vergabeverfahren sollen über einen Zeitraum von zwölf Monaten beobachtet und gegebenenfalls evaluiert werden, um dann auf gesicherter Basis die Diskussion fortzusetzen.

Quelle: Für eine sozialstaatliche Arbeitsmarktpolitik, DGB-Vorschläge zur Neuausrichtung der Arbeitsförderung

Sie können die vollständige Broschüre hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Lebenslanges Lernen, Berufliche Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 02.04.2014