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Bildungsträger der allgemeinen und politischen Weiterbildung kritisieren neue Umsatzsteuerrichtlinien

Stellungnahme der öffentlich verantworteten Weiterbildung zum Umsatzsteuergesetz 2013


Gesetzesänderung


Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung für das Jahressteuergesetz 2013 sieht eine Zusammenfassung der zentralen Umsatzsteuer-Befreiungsvorschriften für Bildungsleistungen in einer Norm (§ 4 Nr. 21 UStG) vor. Gleichzeitig wird der bisherige § 4 Nr. 22a UStG gestrichen.

Nicht umsatzsteuerpflichtig sind Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art, die als Schul- oder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung zu qualifizieren sind. Im Gegensatz zur bisherigen Regelung sind die zuvor in § 4 Nr. 22a UStG genannten Bildungsanbieter (z.B. Volkshochschulen) im Gesetzesentwurf nicht mehr explizit als begünstigte Einrichtungen aufgeführt. Stattdessen wird ausschließlich die Bildungsleistung von der Steuer befreit. Voraussetzung für die Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen ist die Vermittlung „spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten“. Ausgenommen von der Steuerbefreiung werden jedoch Leistungen, die der „reinen Freizeitgestaltung“ dienen.


Allgemeine Bewertung

Es ist nachvollziehbar, dass EU-rechtliche Vorgaben (Anpassung an die MwStSystRL) sowie die Entwicklung der Rechtsprechung von EuGH und BFH eine Anpassung der Regelungen im deutschen Umsatzsteuergesetz erforderlich machen. Nicht akzeptabel ist hingegen, dass durch die Umsatzsteuer-Gesetzgebung ein in Wissenschaft und Politik unumstrittener Bildungsbegriff konterkariert wird.

Die Verschränkung von Allgemeinbildung und beruflicher Bildung ist das Kernelement moderner Bildungskonzepte. Sie ermöglicht Menschen jeden Alters nicht nur persönliche Entfaltung und aktive politische und kulturelle Teilhabe an der Gesellschaft, sondern erhält auch ihre Beschäftigungsfähigkeit in einer im ständigen Wandel befindlichen Arbeitswelt. Die gesetzliche Neuregelung birgt jedoch die Gefahr, dass Allgemeinbildung nicht mehr im bisherigen Umfang umsatzsteuerlich begünstigt wird. Zudem werden den Weiterbildungseinrichtungen keine praxistauglichen Kriterien zur Abgrenzung von steuerpflichtigen und steuerfreien Bildungsleistungen an die Hand gegeben. Das Abgrenzungskriterium der „reinen Freizeitgestaltung“ ist unspezifisch und ungeeignet, weil es dem ganzheitlichen Bildungsverständnis der Weiterbildung in öffentlicher Verantwortung nicht gerecht wird.

Es stellt sich auch die Frage der Steuersystematik und -gerechtigkeit, wenn allgemeinbildende Kurse der Weiterbildung als Freizeitgestaltung eingestuft werden (können) und somit umsatzsteuerpflichtig sind, während der Besuch von Theatern oder Zoos grundsätzlich steuerbefreit ist. Die Träger der öffentlich verantworteten Weiterbildung sind Bildungseinrichtungen und keine Freizeiteinrichtungen.

Der Gesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass der öffentliche Auftrag von Weiterbildung im Sinne des Lebenslangen Lernens in keinem Fall durch steuerliche Praxis unterhöhlt wird. Hierfür ist es notwendig, Bildungsleistungen zur Vermittlung „spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten“ sowie eng mit den Bildungsleistungen verbundene Lieferungen und Leistungen auf der Grundlage eines ganzheitlichen Bildungsbegriffs zu spezifizieren bzw. neu zu definieren. Das steuerlich und bildungspolitisch untaugliche Abgrenzungskriterium der „reinen Freizeitgestaltung“ muss aus dem Gesetzestext herausgenommen werden.


Gefahr der Rechtsunsicherheit

Mit den Neuregelungen geht eine erhebliche Rechtsunsicherheit einher. Grundlage für die steuerliche Beurteilung der Weiterbildungsangebote wird die allgemeine Verkehrsauffassung von „Bildung“ und „Freizeit“. In jedem Einzelfall muss anhand dieses mehr als vagen Kriteriums über eine Umsatzsteuerpflicht entschieden werden, was die Rahmenbedingungen der Weiterbildungsarbeit durch zusätzlichen bürokratischen Aufwand erheblich erschwert. Konflikte zwischen bildungspolitischer und steuerrechtlicher Sichtweise sind vorprogrammiert. Schrittweise droht der Bildungsauftrag zu erodieren, den die Träger der öffentlich verantworteten Weiterbildung wahrnehmen, wenn Finanzbehörden den Bildungsbegriff künftig enger interpretieren als es nationalen, europäischen und internationalen Standards entspricht. Es besteht die Gefahr, dass Steuerbehörden die Gesetzesänderung zum Anlass nehmen, sich neue Steuerquellen zu erschließen.

Da die öffentlich verantworteten Weiterbildungseinrichtungen unter engen finanziellen Rahmenbedingungen arbeiten, wären viele Einrichtungen bei Steuernachzahlungen in ihrer Existenz gefährdet. Nicht wenige Einrichtungen werden die Risiken einer Änderung der Praxis der Steuerbehörden durch eine prophylaktische Erhöhung der Kursgebühren absichern. Die Folge wird eine Erhöhung der Bildungskosten sein, die sich negativ auf die Weiterbildungsteilnahme insbesondere von Menschen aus bildungsfernen Schichten auswirken wird. Eine solche Entwicklung wäre ein bildungspolitisch kontraproduktives Signal an die Bürgerinnen und Bürger, die von der Politik zu verstärkten Bildungsanstrengungen über den gesamten Lebenslauf aufgefordert sind.


Kriterium der „reinen Freizeitgestaltung“

Bundes- und Landesfinanzministerien weisen darauf hin, dass EuGH und BFH im Kriterium der „reinen Freizeitgestaltung“ die einzig mögliche Abgrenzung zwischen umsatzsteuerfreien Bildungsleistungen und umsatzsteuerpflichtigen Leistungen sehen. Für die Weiterbildungseinrichtungen ist dieses Kriterium allerdings nicht belastbar.

Welche Angebote sind als „reine Freizeitgestaltung“ zu werten? In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass sich Anhaltspunkte aus dem Teilnehmerkreis oder der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben können.

Die Herleitung der Steuerpflicht aus dem Teilnehmerkreis eines Angebots kann zu einer systematischen Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen führen. Laufen beispielsweise Senioren/-innen in der nachberuflichen Phase in Zukunft Gefahr, mit höheren Kursgebühren konfrontiert zu werden, da ihnen ein reines Freizeitinteresse unterstellt wird? Unterliegen mithin Seniorenkurse, die auf ein ehrenamtliches Engagement vorbereiten, künftig der Umsatzsteuer? Müssen Bildungsträger Umsatzsteuer entrichten, wenn sie Senioren/-innen in Handykursen dabei unterstützen, an der digitalen Welt zu partizipieren? Oder müssen Eltern künftig mehr zahlen, wenn sie Kurse der Elternbildung besuchen, die Hilfen zur Erziehung und Förderung ihrer Kinder bieten? Die Forderungen nach Lebenslangem Lernen und sozialer Teilhabe würden so konterkariert.

Auch das Rekurrieren auf die thematische Zielsetzung eines Kurses geht an der Praxis vorbei. Hinter den Kursen und Veranstaltungen der öffentlich verantworteten Weiterbildung stehen stets konkrete Lernziele. Alle Kurse dienen der Vermittlung von Fähigkeiten und Kompetenzen, auch wenn sie mitunter aufgrund der Ankündigungstexte – ohne Kenntnis der pädagogischen Hintergründe – auf den ersten Blick fälschlicherweise den Eindruck einer Freizeitgestaltung vermitteln können. Kursankündigungen sind Marketinginstrumente, mit denen auch weniger bildungsaffine Zielgruppen für eine Bildungsteilnahme gewonnen werden sollen – die Lernziele tauchen deshalb in den Ankündigungstexten der Kurse nicht unbedingt auf. Sollen die Träger künftig auf eine teilnahmewirksame Ansprache ihrer Zielgruppen verzichten, um die Gefahr einer Umsatzbesteuerung abzuwehren? Oder müssen bei Betriebsprüfungen künftig die Unterrichtskonzepte von hunderttausenden freiberuflichen Kursleitern/innen vorgelegt werden?


Definition der eng mit Bildungsleistungen verbundenen Lieferungen und Leistungen

In der Gesetzesbegründung wird einer sehr engen Auslegung der mit Bildungsleistungen verbundenen Lieferungen und Leistungen gefolgt. Die Verpflegung von Teilnehmern/innen an Bildungskursen wird sogar ausdrücklich von einer Steuerbefreiung ausgenommen, da es sich um eine „nützliche aber nicht unerlässliche Leistung“ handeln würde.

Dieser Sichtweise können die Träger der öffentlich verantworteten Weiterbildung nicht folgen. Im Rahmen der Jugend- und Erwachsenenbildung gibt es eine Vielzahl von Bildungskonzepten, die aus fachlichen Gründen mehrtägige Kurse mit Übernachtungen vorsehen. Solche Kurse ermöglichen Lernen ohne Zeitdruck sowie den Einsatz einer Vielfalt an Methoden und sie begünstigen Gruppen- und Vertrauensbildungsprozesse. Gerade die mehrtägige Herausnahme aus dem Lebensalltag ermöglicht bei bestimmten Zielgruppen einen nachhaltigen Bildungserfolg.

Übernachtungen und daraus folgende Notwendigkeiten der Verpflegung sind also kein Selbstzweck, sondern dienen ausdrücklich der Unterstützung und Verstärkung der jeweiligen Bildungsziele. Auch diesbezüglich muss ein umfassenderes Bildungsverständnis Aufnahme in die Gesetzesbegründung finden.


Forderungen / Empfehlungen
  1. Die öffentlich verantwortete Weiterbildung fordert, den bisherigen Umfang der Umsatzsteuerbefreiung für Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art beizubehalten und diese Absicht im Gesetzestext bzw. in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck zu bringen.

  2. Das steuerlich und bildungspolitisch untaugliche Abgrenzungskriterium der „reinen Freizeitgestaltung“ muss aus dem Gesetzestext herausgenommen werden.

  3. Stattdessen muss eine für die Finanzverwaltung verbindliche Verständigung auf einen Katalog von Bildungsleistungen erfolgen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmern „spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten“ vermitteln. Die Vermittlung von Allgemeinbildung muss für alle gesellschaftlichen Gruppen – unabhängig von ihrer Lebenssituation und ihrem Alter – umsatzsteuerfrei bleiben.

  4. Für eine solche Verständigung können die Empfehlungen des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zu Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen (Amtsblatt der Europäischen Union L 394) als Grundlage dienen. Die Schlüsselkompetenzen benennen jene Kompetenzen, die alle Bürgerinnen und Bürger in Europa für ihre persönliche Entfaltung, soziale Integration, aktive Bürgerschaft und Beschäftigungsfähigkeit in einer wissensbasierten Gesellschaft benötigen und die auch der älteren Generation eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. (Muttersprachliche Kompetenz; Fremdsprachliche Kompetenz; Mathematische Kompetenz und naturwissenschaftlich-technische Kompetenz; Computerkompetenz; Lernkompetenz; Soziale Kompetenz (einschl. Gesundheitskompetenz) und Bürgerkompetenz; Eigeninitiative und unternehmerische Kompetenz; Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit).

  5. Übernachtungen und in diesem Zusammenhang notwendige Verpflegungen sind als bildungsnahe Leistungen zu sehen und müssen von der Umsatzsteuer befreit sein.

  6. Dass künftig bei der Aus- und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung die Dauer der Bildungsmaßnahmen unerheblich ist, ist zu begrüßen. Allerdings sollte in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen werden, dass nicht nur Tagesveranstaltungen, sondern auch kürzere Veranstaltungen (z.B. Vorträge) steuerbegünstigt sind.


Unterzeichnende

Ulrich Aengenvoort, Verbandsdirektor
Deutscher Volkshochschul-Verband e.V.

Barbara Menke, Bundesgeschäftsführerin
Bundesarbeitskreis ARBEIT UND LEBEN e.V.

Andreas Seiverth, Bundesgeschäftsführer
Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE) e.V.

Andrea Hoffmeier, Bundesgeschäftsführerin
Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (KBE)

Ina Bielenberg, Geschäftsführerin
Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V.

Uta-Maria Kern, Geschäftsführerin
Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum e.V.

Bonn, 19.09.2012


Schlagworte zu diesem Beitrag: Weiterbildung, Volkshochschule
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 19.10.2012