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Abitur und berufliche Ausbildung - wo landen beide beim Deutschen Qualifikationsrahmen

Am Donnerstag ist es so weit: Die Kultusminister werden ihre Position zur Wertigkeit von Abitur und Berufsausbildung festlegen. Ist das Abitur mehr wert als eine Ausbildung? Welche Kompetenzen sind wichtiger: Shakespeare im Original lesen oder ein Computernetzwerk aufbauen zu können? Um diese Fragen ist ein großer Streit zwischen Gewerkschaften und den Spitzenverbänden der Wirtschaft auf der einen und den Kultusministern auf der anderen Seite entbrannt. DGB Chef Michael Sommer und Handwerkspräsident Otto Kentzler (auch im Auftrag aller Wirtschaftsverbände) haben jetzt in einem Schreiben (im Dateianhang) an die Kultusminister klare Kannte gezeigt: In ihrem Brief fordern sie die Kultusministerkonferenz auf "der dualen Berufsausbildung den ihr gebührenden Platz im DQR einzuräumen" und drohen andernfalls mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, hat die Kultusminister davor gewarnt, beim europaweiten Bildungsvergleich (EQR) das Abitur höher zu bewerten als einen dualen Berufsabschluss.

In einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung erklärte Wansleben: "Das können wir auf keinen Fall mittragen." Er appellierte an die Kultusministerkonferenz (KMK), auf ihrer Sitzung am 20. Oktober "eine Fehlentscheidung" zu vermeiden. Laut Plan der KMK soll das Abitur auf Niveau 5, der duale Abschluss aber nur auf Niveau 4 angesiedelt werden. Der DIHK-Geschäftsführer warnte vor einem massiven Attraktivitätsverlust der beruflichen Ausbildung in Deutschland und machte eine einfache Rechnung auf: Ein Abiturient, der zum Beispiel eine duale Ausbildung zum Bankkaufmann abschließe, würde sich im Niveau nicht verbessern, sondern verschlechtern.

Bei dem Konflikt geht es um den "Deutschen Qualifikationsrahmen" (DQR), der bis Ende des Jahres entwickelt werden soll. Mit dem Stufenmodell sollen in Zukunft alle Abschlüsse vergleichbar werden, unabhängig davon, ob sie in der Schule, im Beruf, an der Hochschule und in der Weiterbildung abgelegt wurden. Acht Abstufungen sind vorgesehen, wobei immer Fachwissen und Sozialkompetenzen einberechnet werden. Mit einem Hauptschulabschluss kommt man auf Stufe 2, mit einer Promotion auf Stufe 8. Später soll auch informelles Lernen in das Ranking einfließen. Nach einer Empfehlung der Europäischen Union erstellen alle Mitgliedsstaaten ähnliche Qualifikationsrahmen.

Die Beteiligten, neben den Sozialpartnern und den Kultusministern gehören auch Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Vertreter aus der Wissenschaft dazu, haben sich weitgehend geeinigt. Strittig bleibt aber die Frage, auf welche Stufe das Abitur gehört, und auf welche die dualen Ausbildungen. Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern, Abitur, Fachabitur und dreijährige Ausbildungen gleichberechtigt auf die Stufe 4 zu stellen. Zweijährige Ausbildungen sollen der Stufe 3 zugerechnet werden. Doch die Kultusminister favorisieren die Zuordnung des Abiturs auf Stufe 5. Nach ihren Plänen würde der Großteil an Ausbildungen auf der Stufe 3 und 4 angesiedelt, nur in wenigen Fällen auf Stufe 5.

Gewerkschaften und Arbeitgeber laufen nun Sturm gegen die Kultusminister. In einem zweiseitigen Brief an Schavan, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, schreiben der DGB-Chef Michael Sommer und Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks: "Als Federführer für die Sozialpartner und Wirtschaftsorganisationen lehnen wir eine im Vergleich zur Allgemeinen Hochschulreife zu niedrige Zuordnung der Berufsbildung ab." Sommer und Kentzler befürchten einen Attraktivitätsverlust für Ausbildungsberufe. "Immer weniger Absolventinnen und Absolventen von Gymnasien würden sich für eine duale Ausbildung entscheiden."

Denn Abiturienten, die eine Ausbildung machen, fielen dann in vielen Fällen von Stufe 5 auf Stufe 4 zurück. Der Gewerkschafter und der Arbeitgebervertreter bitten Schavan, der "dualen Berufsausbildung den ihr gebührenden Platz im DQR einzuräumen". Die Gewerkschaften sprechen intern sogar von einem regelrechten "Kulturkampf" mit den Kultusministern. Dass der Streit mit so einem großen Nachdruck geführt wird, verwundert nicht. Denn der Qualifikationsrahmen wird weitreichende Konsequenzen für das Arbeitsleben haben. Ab 2012 werden alle Zeugnisse mit einem Verweis auf das DQR-Niveau versehen. Auch ist davon auszugehen, dass sich die Einstufungen auf die Einstellungspraxis von Unternehmen in ganz Europa auswirken werden. Und sie könnten über kurz oder lang auch Auswirkungen auf Tarifverhandlungen haben, etwa wenn Arbeitgeber mit dem Verweis auf die Stufen Lohnkürzungen in Ausbildungsberufen fordern.


Klaus Heimann in WAP, Homepage der IG Metall

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Schlagworte zu diesem Beitrag: Deutscher Qualifikationsrahmen, Ausbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 19.10.2011