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Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR)

Chancen und Risiken aus gewerkschaftlicher Sicht

Deutscher Qualifikationsrahmen
Der erste Entwurf und was in ihm steckt

Auf Seiten der Gewerkschaften war zunächst die Skepsis groß, da im EQR die Nützlichkeit für das Beschäftigungssystem im Vordergrund steht. Die Sorge war, dass das Prinzip der Beruflichkeit, das die deutsche Berufsbildung charakterisiert, in Gefahr gerät und dass sich im Zuge von EQR und DQR eine unverbindliche und beliebige Modularisierung in der Berufsausbildung durchsetzt.

Der Blick auf die Hochschulen zeigte jedoch den Akteuren der deutschen Berufsbildung, welche Wirkung ein europäisches Steuerungsinstrument entfalten kann, sobald es in der Welt ist: Im sog. „Bologna-Prozess“ war die Bewertung der an Hochschulen erbrachten Leistungen mit Hilfe des European Credit Transfer System (ECTS) vereinbart worden – auf freiwilliger Basis. Es kam rasch eine Entwicklung in Gang, die zur grundlegenden Reform der Studienstruktur in Deutschland führte und Bachelor- sowie Mastertitel anstelle der bisherigen Diplomabschlüsse setzte.

Diese Entwicklung beeinflusste die Entscheidung der DGB-Gewerkschaften, sich in die Entwicklung eines Deutschen Qualifikationsrahmens einzumischen und die Chance zu nutzen, das Bildungssystem durchlässiger zu machen und dafür zu sorgen, dass der berufliche Bildungsweg den gleichen Wert erhält wie die akademische Ausbildung.

Es gibt fünf Kernfragen, die seit dem Beginn der Verhandlungen im Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen die gewerkschaftliche Positionierung bestimmen:
  • Wie kann der DQR dazu beitragen, mehr Durchlässigkeit, Transparenz und Chancengleichheit im Bildungswesen herzustellen? Welchen Beitrag leistet er zur Herstellung der Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung?

  • Wie werden „Kompetenzen“ definiert? Wird die auf das Subjekt, den Arbeitnehmer bezogene personale und soziale Entwicklung dabei hinreichend berücksichtigt?

  • Was ist von einer nur an Lernergebnissen orientierten Einstufung, dem „outcome“, zu halten? Wie werden die Income- und Prozesskategorien berücksichtigt?

  • Wie viele Qualifikationsniveaus soll der DQR haben? Decken die Deskriptoren eine umfassende Kompetenzentwicklung hinreichend ab?

  • Wer beschreibt die Messlatte? Wer ordnet zu? Wie wird der öffentliche Einfluss gesichert?

Mit dem „Diskussionsvorschlag eines Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ liegt nun nach gut zweijähriger Debatte seit Februar 2009 ein Zwischenstand vor, auf den sich alle Akteure einigten (siehe: www.deutscherqualifikationsrahmen.de). Welche Streitpunkte offen blieben, welche kritischen Entscheidungen im Verlauf dieses Jahres anstehen und wie sich der DGB dazu positioniert, dazu mehr im folgenden Kapitel „Politische Bewertung“. Hier soll zunächst eine fachliche Erläuterung und Einordnung des bisher Erreichten erfolgen.

Die Akteure der Berufsbildung in Deutschland haben sich auf eine Matrix verständigt, die berufliche Handlungsfähigkeit auf acht Qualifikationsniveaus beschreibt. Das Spektrum reicht vom Einstiegsniveau 1: „Die Erfüllung der Aufgaben erfolgt unter Anleitung“ bis zu dem der strategischen Führungsebene auf Niveau 8: „Die Anforderungsstruktur ist durch neuartige und unklare Problemlagen gekennzeichnet.“

Auf jeder Stufe wird zum einen die erforderliche Fachkompetenz – mit den Kategorien Wissen und Fertigkeiten – definiert; zum anderen geht es um die nötige Personale Kompetenz – mit den beiden Kategorien Sozial- und Selbstkompetenz. Sozial- und Selbstkompetenz, das heißt: Zur beruflichen Handlungsfähigkeit gehört auf jeder Stufe auch ein gewisses Maß an Mitgestaltung und Reflexivität. Es waren die Gewerkschaften, die dafür sorgten, dass im DQR „Kompetenz“ umfassender und weniger technokratisch als im EQR verstanden wird. Prinzipiell unterstützt die Arbeitgeberseite diese Sichtweise, entspricht sie doch den Anforderungen moderner Arbeits- und Geschäftsprozesse.

Anders war die Ausgangslage bei der Stufenzahl: Während die Arbeitgeberseite sich am EQR orientierte und acht Qualifikationsniveaus favorisierte, trat der DGB zunächst für eine fünfstufige Skala beim DQR ein. Der gefundene Kompromiss besteht nun aus einem 5-plus-3-Modell: Die unteren drei Stufen decken aus Sicht des DGB vorberufliche Qualifikationen ab; die Stufen 4 bis 8 bieten den Rahmen, um all die Kompetenzen abzubilden, die im Aus-, Weiterbildungs- und Hochschulsystem sowie im Zuge beruflicher Erfahrung erworben werden.

So könnte eine Zuordnung aussehen: Wer die Kompetenzen vorweisen kann, die nach dem Berufsbildungsgesetz in einer Erstausbildung vermittelt werden müssen, gehört auf Stufe 4. Wer sich im Sinne der Aufstiegsfortbildung zum Spezialisten seines Fachs weiterqualifiziert hat, erreicht Stufe 5. Die Meister/Fachkaufleute und Fachwirte sind Stufe 6 zugeordnet, ebenso wie Absolvent/innen eines Bachelor-Studiengangs.

Auf Stufe 7 stehen beispielsweise die strategischen IT-Professionals; sie weisen gleichwertige Kompetenzen wie Träger eines Mastertitels vor. Auf Ebene 8 schließlich bewegen sich die Promovierten und jene, die auf anderem Weg gelernt haben, „innovative Lösungen und Verfahren in einem beruflichen Tätigkeitsfeld“ zu entwickeln und „neuartige und unklare Problemlagen“ zu bewältigen.

Vom Azubi zum Master, mit oder ohne Studium. Die Chance des DQR liegt darin, ein brauchbares Übersetzungsinstrument für Qualifikationen zu sein, egal ob sie im Arbeitsprozess, an der Hochschule oder auf anderem Weg erworben wurden. Ein Instrument, von dem die aufstiegswillige Facharbeiterin ebenso etwas hat wie der Studienabbrecher oder die Quereinsteigerin.

Tatsächlich muss der DQR auf zwei Feldern für mehr Durchlässigkeit und Mobilität im Bildungssystem sorgen: Einmal soll der berufliche Erkenntnis- und Erfahrungsgewinn gegenüber dem hochschulischen Wissenserwerb den Stellenwert bekommen, der ihm inhaltlich zusteht, also über Äquivalenzen als gleichwertig eingeordnet werden. Zum zweiten werden für die Zuordnung zu DQR-Niveaus auch jene Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen erfasst, die auf informellen und nicht-formalen Wegen erworben werden. Das heißt: Was der An- und Ungelernte täglich an Know-how und Professionalität dazu gewinnt, bekommt einen benennbaren Wert. Was die Hausfrau oder der Hausmann sich an Fähigkeiten und Kompetenzen aneignen, während sie einen fünfköpfigen Haushalt schmeißen, wird beruflich anerkannt. Was Arbeitslose lernen und tun, um ihre Situation zu meistern, zählt als Pluspunkt im Kompetenzprofil.

Das Wie und das Wer sind noch offen, die Frage also, nach welchen Kriterien und von wem Kompetenzen erfasst, bewertet und anerkannt werden können, die nicht auf „formalem“ Weg – also im institutionalisierten und standardisierten Bildungssystem erworben werden. Es geht um das „informelle“ Lernen, das sich „nebenbei“ und unbeabsichtigt ergibt – das beginnt bei den Kindern am Spielplatz und reicht bis zum intuitiven Know-how-Erwerb am Arbeitsplatz. Und es geht um „non-formale“ Lernprozesse, die mit der Absicht, sich Neues anzueignen, in Einrichtungen wie Musik- oder Sprachschulen, Volkshochschulen oder Sportvereinen begonnen werden und die mit oder ohne Zeugnis/Zertifikat beendet werden können. Hier besteht noch großer Forschungs-, Entwicklungs- und Diskussionsbedarf.


Quelle: Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR), Chancen und Risiken aus gewerkschaftlicher Sicht, DGB Mai 2009


Die Broschüre kann ab Ende Mai in gedruckter Form im Bestellshop des DGB für 1,50 Euro bestellt werden.

Sie können die Broschüre hier auch als pdf-Datei herunterladen.



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Schlagworte zu diesem Beitrag: Lebenslanges Lernen, Deutscher Qualifikationsrahmen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 15.05.2009