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Beschluss des ver.di-Bundesvorstandes zur

Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente – Referentenentwurf vom 3. September 2008

ver.di fordert die Bundesregierung auf, das Reformvorhaben der Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu nutzen, um die Beratung und die Unterstützung von Personen im Bereich des SGB III und des SGB II zu stabilisieren und zu verbessern. Statt unverbindlicher Ermessensleistungen, verschärfter Sanktionen, überzeichneter Zielvorgaben und verstärkter Förderung von prekärer Beschäftigung sind die Potenziale der von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen und ihre Existenzsicherung in einem fairen Verständigungs- und Vermittlungsprozess zu stärken. Es muss sichergestellt werden, dass das neue Vermittlungsbudget grundsätzlich allen Ausbildungsuchenden, von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer/innen und Arbeitslosen zur Verfügung steht.

Begründung:

Umfang und Struktur des arbeitsmarktpolitischen Instrumenteneinsatzes haben sich in der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Umsetzung der sogenannten Hartz-Gesetze gravierend geändert. Dies hat weitreichende Folgen. Die unsinnige Trennung der Arbeitslosen in zwei Rechtskreise führt nicht nur zu Schnittstellenproblemen zwischen den Akteuren des SGB III und des SGB II, sondern auch zur Diskriminierung ganzer Gruppen von Arbeitslosen. Die Unterteilung der Erwerbslosen in „Kundengruppen“ führt zu einer Klassifizierung im Geltungsbereich des SGB II und wird der individuellen Lebenssituation der Anspruchsberechtigten nicht gerecht.

Am 3. September 2008 legte die Bundesregierung den nunmehr dritten Referentenentwurf des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vor. Die grundsätzlichen Probleme bei der Beratung und Vermittlung von Arbeitsuchenden werden damit nicht angepackt. Der Entwurf folgt konsequent der betriebswirtschaftlich geprägten Logik der Hartz-Gesetzgebung:
  • Einsparung bei Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik durch Streichung von Instrumenten und Einführung des sogenannten Vermittlungsbudgets statt Schaffung und Ausbau innovativer Instrumente

  • Schnelle Vermittlung in prekäre Beschäftigung statt nachhaltige und abgesicherte Integration in den Arbeitsmarkt

  • Abschaffung von ABM im SGB II mit der Folge einer noch stärkeren Verlagerung auf Ein-Euro-Jobs statt deren überfällige Abschaffung

  • weitere Verdrängung bestimmter Personengruppen aus der Arbeitsförderung durch Abschaffung von bzw. Erschwerung des Zugangs zu Arbeitsmarktinstrumenten statt fairer Chancen auf Arbeit für alle Gruppen

  • Verschärfung der Sanktionsmechanismen und der persönlichen Abhängigkeit der Erwerbslosen statt Ausbau von Rechtsansprüchen sowie

  • Fortführung der Privatisierung der Arbeitsvermittlung statt Entwicklung und Qualifizierung des eigenen Personals

Innovative Ansätze für die Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt sind kaum vorhanden oder erschöpfen sich in allgemeinen Programmsätzen. So werden als Ziele der Arbeitsförderung erstmals die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und die Verbesserung der beruflichen Situation von Frauen genannt. Dies schlägt sich aber nicht in konkreten Regelungen nieder, bleibt somit ohne Wirkung. Weiterhin entscheidet die Zugehörigkeit zum Rechtskreis SGB III oder SGB II über die Angebote an den jeweiligen Personenkreis. In der Begründung des Entwurfes wird zwar die Notwendigkeit einer „rechtskreisübergreifenden integrativen Arbeitsmarktpolitik“ betont, im Gesetz spiegelt sich dies jedoch nicht wider. Es bleibt vielmehr beim Verweis auf bestimmte (nunmehr zusammengestrichene) Instrumente des SGB III.


Im Einzelnen:
1. Mit der Einführung eines Vermittlungsbudgets bei der Agentur für Arbeit sollen einzelne Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer/innen und Ausbildungssuchende insbesondere bei der Erreichung ihrer in der Eingliederungsvereinbarung bestimmten Eingliederungsziele besser unterstützt werden. Die Begründung des Referentenentwurfes bestätigt die von ver.di bereits geäußerten Bedenken gegen die geplante Ausgestaltung dieses Instruments (vgl. Beschluss des Bundesvorstandes vom 16. Mai 2008):
  • Das Vermittlungsbudget erlaubt eine Förderung nur dann, wenn die „Eingliederungsaussichten in den Arbeitsmarkt erheblich verbessert werden“. Das heißt in allen anderen Fällen entfallen die bisherigen Einzelinstrumente Freie Förderung, Unterstützung der Beratung und Vermittlung durch Übernahme von Bewerbungskosten sowie Reisekosten, Maßnahmen der Eignungsfeststellung/Trainingsmaßnahmen inklusive der Übernahme von Kinderbetreuungskosten, Prüfungsgebühren und Lehrgangskosten sowie Mobilitätshilfen in Form der Ausrüstungsbeihilfe, Fahrtkostenbeihilfe, Trennungskostenbeihilfe, Reisekostenbeihilfe, Umzugskostenbeihilfe und Übergangsbeihilfe. Bisher werden diese Förderinstrumente nicht von den Eingliederungsaussichten abhängig gemacht. So konnte durch die Freie Förderung bislang bis zu 10 Prozent der Eingliederungsmittel für innovative Projekte und Ermessensleistungen für Ausbildung- und Arbeitsuchende genutzt werden. Für die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten reicht es z. B. aus, dass sie geeignet sind, die Kenntnisse und Fähigkeiten, das Leistungsvermögen und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten von Arbeitslosen oder Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer/innen zu verbessern und unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage festzustellen, für welche berufliche Tätigkeit oder Leistung sie geeignet sind. Nun soll mit den Leistungen des Vermittlungsbudgets ausschließlich die Anbahnung und Aufnahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses unterstützt werden.

  • Durch die Segmentierung der Arbeitslosen in verschiedene („Kunden“-) Gruppen ist vorprogrammiert, wer vom Vermittlungsbudget profitieren wird und wer nicht. Hinzu kommt, dass Nichtleistungsempfänger/innen im Rechtskreis des SGB II nur Beratungs- sowie Vermittlungsleistungen erhalten und lediglich ausnahmsweise in aktive Förderinstrumente einbezogen werden. Insofern stützt und verstärkt der aktuelle Referentenentwurf die ohnehin bestehende Ungleichverteilung der Risiken am Arbeitsmarkt. Diskriminierungseffekte ergeben sich weiterhin aus dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft im SGB II, die zu einer großen Zahl neuer Nichtleistungsempfänger/innen geführt hat, zu der überproportional viele Frauen gehören. Diese Arbeitslosengruppe hat zwar Anspruch auf arbeitsmarktpolitische Beratungsleistungen, nicht jedoch auf aktive Leistungen. An derartigen aktiven Leistungen können diese Arbeitslosen zwar prinzipiell teilhaben, aufgrund der zunehmend betriebswirtschaftlich ausgerichteten Geschäftspolitik in der Beratung und Betreuung von Arbeitslosen geschieht dies jedoch nur ausnahmsweise. Dem kann nur mit einem Rechtsanspruch auf die Förderung durch das Vermittlungsbudget begegnet werden, durch das der vorgesehene Anspruch auf Maßnahmen zur „Aktivierung und beruflichen Eingliederung“ zu ergänzen ist. Dieser Anspruch darf nicht erst nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit greifen, sondern muss bereits bei drohender Arbeitslosigkeit und für alle Erwerbslosen vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit bestehen.

  • Der Einsatz des Vermittlungsbudgets unterliegt nach der geplanten Regelung allein dem Ermessen der jeweiligen Vermittlungskraft und ist so stark von deren Qualifikation und Möglichkeiten abhängig. Diese kann künftig auch eine Bedürftigkeitsprüfung durchführen. Die Vermittlungskraft soll die Pflicht zur „präzisen Bedarfsermittlung“ haben. Von einer Vereinfachung, mit der unbürokratische Hilfe für die Arbeitslosen ermöglicht wird, ist der Referentenentwurf damit weit entfernt. Die „zielgerichtete und bedarfsorientierte Beseitigung von unterschiedlichen Hemmnissen“ wird allein durch die Streichung der genannten Instrumente nicht möglich.

  • Die Gewährung von Leistungen soll sich auf „wirklich notwendige Sachverhalte“ beschränken. Der Referentenentwurf gibt keine Auskunft darüber, in welcher Höhe Finanzmittel für das Vermittlungsbudget zur Verfügung gestellt werden sollen. So lässt sich nicht abschätzen, ob es tatsächlich ein mindestens finanziell gleichwertiger Ersatz für die abgeschafften Instrumente sein wird. Da schon jetzt mit Wirtschaftlichkeitsargumenten gerade besonders förderungsbedürftigen Personengruppen der Zugang zu individuell geeigneten arbeitsmarktpolitischen Unterstützungsleistungen erschwert und teilweise sogar unmöglich gemacht wird, ist das Schlimmste zu befürchten. Der kontinuierliche Rückgang der Finanzierung aktiver Arbeitsmarktpolitik seit Beginn der Hartz-Reformen untermauert diese Befürchtungen: Wurden im Jahr 2002 von der Bundesebene noch 22,9 Milliarden Euro für aktive Förder- und Unterstützungsmaßnahmen verausgabt, so waren es im Jahr 2006 nur noch 15,6 Milliarden Euro. Dies entspricht – bei in diesem Zeitraum stagnierenden Arbeitslosenzahlen – einem Rückgang von fast einem Drittel. Vor dem Hintergrund anhaltend hoher Arbeitslosigkeit und entsprechend umfangreicher Ausgaben für Lohnersatz- bzw. Grundsicherungsleistungen verschlechterte sich damit auch das Verhältnis von aktiven zu passiven Leistungen erheblich.

2. Mit der Einführung von Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung sollen die Möglichkeiten weiterentwickelt werden, bei der Vermittlung und Betreuung von Ausbildung- oder Arbeitsuchenden Träger einzuschalten, um je nach Bedarf „alternative oder intensivere Unterstützungsangebote“ unterbreiten zu können. Damit setzt der Referentenentwurf die Privatisierung arbeitsmarktpolitischer Leistungen fort. Durch den Einsatz neuer Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung wird erwartet, der bisher wenig effektiven Vermittlung durch private Firmen künftig zu größerem Erfolg zu verhelfen und damit deren gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Zugleich sollen durch die Anwendung des Vergaberechts verstärkt Mittel eingespart werden. Acht bisher individuelle Förderleistungen, die die Möglichkeit boten, Träger bzw. Dritte bei der Vermittlung und Betreuung von Ausbildungs- und Arbeitsuchenden einzusetzen, werden durch ein einziges „flexibles“ Instrument ersetzt. Es hat sich gezeigt, dass Arbeitssuchende, die an private Dritte überwiesen wurden, gar nicht oder nur in geringem Umfang davon profitierten (IAB Kurzbericht 05/2008). Trotzdem wird die Privatisierung arbeitsmarktpolitischer Leistungen fortgesetzt.

3. Überflüssig und kontraproduktiv ist die geplante Modifizierung der Regelungen zur Eingliederungsvereinbarung („Potenzialanalyse und Eingliederungsvereinbarung“). Die Regelungen werden entsprechend dem SGB II verschärft, so dass künftig Häufigkeit und Form der Eigenbemühungen nachgewiesen werden müssen. Ebenso unsinnig ist die Festsetzung der erforderlichen Eigenbemühungen durch Verwaltungsakt für den Fall, dass eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Dies entspricht nicht der ver.di-Position einer gleichberechtigten Vereinbarung zwischen Arbeitsuchenden und Arbeitsvermittlung.

4. Nicht hinnehmbar ist auch die geplante Sanktionierung von Nicht-Leistungsempfänger/innen nach dem SGB III. Diese sollen künftig bei Verletzung der Auskunftspflicht oder Nichterfüllung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung für drei Monate von der Vermittlung ausgeschlossen werden. In der Begründung zum Referentenentwurf wird richtigerweise darauf verwiesen, dass dies „zu erheblichen Nachteilen im Rentenverlauf führen“ kann. Im Gegenzug soll die pauschale Pflicht zur erneuten Arbeitssuchmeldung von Nicht-Leistungsempfänger/innen abgeschafft werden. Von dieser verwaltungsaufwendigen und auf die Arbeitslosenstatistik abzielenden Regelung sollten Abstand genommen werden, da dies für die Betroffenen weitreichende Konsequenzen haben kann und im Haushalt der BA zu keinerlei Einsparungen führt.

5. Die Sperrzeit (= Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld und damit verbunden Kürzung des Anspruchs) bei Arbeitsablehnung oder bei Ablehnung oder Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme soll jetzt ausschließlich davon abhängen, ob dies zum ersten Mal (drei Wochen), zum zweiten Mal (sechs Wochen) oder öfter (zwölf Wochen) geschieht. Mit der Entkoppelung der Dauer der Sperrzeit von der Dauer der Arbeit oder Maßnahme zur Eingliederung, die abgelehnt oder abgebrochen wurde, kann die Länge der Sperrzeit außer Verhältnis zur Länge der abgelehnten oder abgebrochenen Beschäftigung geraten.

6. Der Referentenentwurf beinhaltet keine strukturelle Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung sondern setzt weiter auf die schnelle Eingliederung in Arbeit oder Ausbildung. Dies lässt befürchten, dass in Zukunft noch weniger längerfristige Maßnahmen mit Abschlüssen in anerkannten Berufen gefördert werden als bisher. Dabei hat die Evaluation von Hartz I bis III gezeigt, dass gerade diese Maßnahmen besonders wirksam für die Erhöhung der Integrationschancen sind. Eine Reihe von Instrumenten wird mit der Begründung der geringen Nutzung ersatzlos abgeschafft, statt Bedingungen zu schaffen, die ihren verstärkten Einsatz ermöglichen. Dazu gehören unter anderem Beschäftigung begleitende Eingliederungshilfen, die Förderung des Jugendwohnheimbaus und die Weiterbildung durch Vertretung (Job-Rotation). Weiterer Qualitätsverlust in der Aus- und Weiterbildung ist dadurch zu befürchten, dass auch für Maßnahmen zur Förderung der Berufsausbildung (z. B. ausbildungsbegleitende Hilfen oder die außerbetriebliche Ausbildung) das Vergaberecht zur Anwendung kommt und die Agentur für Arbeit in Zukunft nicht mehr verpflichtet ist, die Qualität der Weiterbildungsmaßnahmen und deren Erfolg zu überprüfen. Die Bildungs-, Weiterbildungs- und Berufsberatung wurde in den letzten Jahren massiv abgebaut. Im Bereich der Grundsicherung und für Erwachsene ist die Berufsberatung überhaupt nicht mehr vorgesehen. Soweit sie von den Arbeitsagenturen noch durchgeführt wird, dient sie dem Ziel der schnellen Eingliederung. Interessen und Fähigkeiten der Beratungssuchenden bleiben genauso unberücksichtigt, wie die längerfristigen Integrationswirkungen. Die Bundesregierung propagiert zwar lebenslanges Lernen, versäumt es aber, die berufliche Weiterbildung strukturell zu stärken.

7. Die institutionelle Förderung von Einrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung soll abgeschafft werden. Für Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation sollen die Regelungen zwar weiter bestehen, dies ist jedoch – wenn auch ohne zeitliche Begrenzung – eine Übergangsregelung, so dass die Abschaffung eine Frage der Zeit sein wird. Die institutionelle Förderung der Träger der beruflichen Aus- und Weiterbildung musste in den vergangenen Jahren erhebliche Kürzungen hinnehmen. Die Förderung erst einzudampfen und dann zu behaupten, die Förderung habe keine praktische arbeitsmarktpolitische Bedeutung mehr, ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Mit der institutionellen Förderung war es möglich, notwendige und kostenaufwendige Infrastruktur bei den Bildungsträgern zu finanzieren. Darüber hat die Bundesagentur für Arbeit hochwertige Ausbildungsstätten finanziert (z. B. Werkstätten beim Berufsfortbildungswerk des DGB - BFW). Diese können über den Bildungsgutschein gerade nicht finanziert werden. Die Folge ist, dass die Kosten künftig auf die Lehrgangsgebühren umgelegt werden, was zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für die Anbieter führt, die eine gute Ausstattung bereithalten. Es findet ausschließlich eine Regulierung über den Markt statt. Dies kommt Billiganbietern zugute, die keine solide Aus- und Weiterbildung anbieten können. Der Hinweis in der Begrünung des Referentenentwurfes auf die Zertifizierung greift zudem nur bei Maßnahmen nach der Anerkennungs- und Zulassungsverordnung - Weiterbildung (AZWV) im Falle einer Förderung durch Bildungsgutschein, nicht aber bei berufsvorbereitenden Maßnahmen und außerbetrieblicher Erstausbildung sowie Trainings, die strikt gemäß dem Vergaberecht nach der Verdingungsordnung für Leistungen - Teil A (VOL/A) ausgeschrieben werden.

Wer den Fachkräftemangel beklagt, muss auch für ein Mehr an qualitativ hochwertiger Aus- und Weiterbildung eintreten. Die Möglichkeit der institutionellen Förderung von Einrichtungen der beruflichen Aus- und Weiterbildung muss deshalb im SGB III erhalten bleiben.

8. Bei der Anwendung von Vergaberecht in der Förderung der Berufsausbildung gibt es vielerlei ungelöste Probleme. Vor allem können ein schädlicher Preiswettbewerb unter Vernachlässigung von Qualitätsgesichtspunkten ausgelöst, Dumping-Anbieter bevorzugt und Förderketten unter bürokratisch-finanziellen Gesichtspunkten unterbrochen bzw. vermieden werden.

9. Grundsätzlich wird der Anspruch auf Vorbereitung auf einen Hauptschulabschluss oder einen gleichwertigen Schulabschluss im Rahmen einer berufsvorbereitenden Maßnahme und der Anspruch auf Förderung des nachträglichen Erwerbs des Hauptschulabschlusses oder eines gleichwertigen Schulabschlusses für Arbeitnehmer/innen begrüßt. Da die Hauptschule als Schulform aber insgesamt umstritten ist, so dass aus der SPD der Ruf nach ihrer Abschaffung kommt, ist ein Anspruch auf die Vorbereitung auf einen Schulabschluss entsprechend dem jeweiligen Bedarf zeitgemäßer.

10. Der Bundesagentur für Arbeit soll ein eng begrenztes Budget (Experimentiertopf) im Bereich der Versicherungsleistungen zur Verfügung gestellt werden, um „die Durchführung zeitlich befristeter Projekte zur Erprobung innovativer arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zu ermöglichen und somit neue Handlungsansätze zu erschließen“. Für diesen Experimentiertopf dürfen allerdings nur maximal ein Prozent der Eingliederungsmittel verwendet werden. Im SGB II sollen die Arbeitsagenturen in Zukunft nur noch zwei Prozent der Eingliederungsmittel zur Erprobung innovativer Ansätze nutzen können. Die Förderung ist auf Projekte beschränkt, die vor dem 31. Dezember 2012 beginnen und eine Dauer von maximal 24 Monaten haben. Die Möglichkeit, lokal über die Förderung von Projekten zu entscheiden, wird somit im SGB III und SGB II deutlich eingeschränkt. Auch wurden auf Basis der sonstigen weiteren Leistungen viele Maßnahmen z.B. im Bereich der Förderung von benachteiligten Jugendlichen über Förderprogramme des Bundes, des Europäischen Sozialfonds oder anderer Träger wie der Jugendämter mitfinanziert. Es ist zu befürchten, dass viele dieser Maßnahmen nicht mehr fortgesetzt werden können.

11. Mit der Reform soll im Bereich SGB II „Rechtsklarheit und Transparenz über die vorhandenen Fördermöglichkeiten erreicht sowie größere Flexibilität und Raum für Innovation bei der Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ geschaffen werden. Dabei wird der Bezug auf das SGB III hinsichtlich der wesentlichen Instrumente der aktiven Arbeitsförderung beibehalten. Ergänzend sollen eigenständige Förderinstrumente im SGB II geschaffen und vorhandene modifiziert werden.

Dies verträgt sich keinesfalls mit der Kürzung der zur Verfügung stehenden Mittel: in 2009 werden im Vergleich zu 2008 die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II um 200 Millionen Euro verringert (6,2 statt 6,4 Milliarden). Außerdem werden die Bundesprogramme „Beschäftigungspakte für Ältere“ und „Bundesprogramm Kommunal-Kombi“ künftig darüber finanziert. Damit steht erheblich weniger Geld für Beratung und Unterstützung bei der Arbeitsuche, Berufsausbildung und Qualifizierung, Beschäftigung begleitende Hilfen und Beschäftigung schaffende Maßnahmen im SGB II-Bereich zur Verfügung.

Positiv ist die nunmehr zusammenfassende und klar strukturierte Anordnung der Maßnahmen zur Eingliederung.

Positiv zu vermerken ist, dass das BMAS von den noch im Entwurf vom 26. Mai 2008 enthaltenen Sanktionsverschärfungen im Bereich des SGB II Abstand genommen hat.
Es bleibt jedoch Korrekturbedarf in wichtigen Punkten:
  • Eine Arbeit soll nach dem Entwurf nicht allein deshalb unzumutbar sein, weil sie mit der Beendigung einer Erwerbstätigkeit verbunden ist, es sei denn, es liegen begründete Anhaltspunkte vor, dass durch die bisherige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann. Alle Alg II-Aufstocker/innen sollen jederzeit gezwungen werden können, ihren Arbeitsplatz zu kündigen, wenn ein/e Fallmanager/in der Auffassung ist, mit einer anderen Tätigkeit könnte die Hilfebedürftigkeit nach SGB II schneller überwunden werden. Diese Regelung öffnet der Willkür Tür und Tor, führt zu bizarren Kündigungen und wird daher strikt abgelehnt.

  • Widersprüche und Klagen gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten bei der Eingliederung in Arbeit regelt, mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung oder zur persönlichen Meldung bei der Agentur aufgefordert wird, sollen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Das bedeutet für Personen, die seit dem 1. Januar 2008 Alg II beziehen und die nur einen Minijob oder überhaupt keine Arbeit haben, zur vorzeitigen Rente mit hohen Rentenabschlägen gezwungen werden können. Durch bestimmte Verfahrensschritte konnten die Betroffenen den Vollzug bis zur endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Zwangsverrentung aufschieben. Dies soll nicht mehr möglich sein.

  • Für Alg II-Bezieher/innen stehen - abgesehen von den im SGB III abgeschafften Instrumenten - die gleichen Fördermaßnahmen des SGB III zur Verfügung wie bisher. Mit einer wichtigen Ausnahme: ABM-Maßnahmen stehen für Alg II-Beziehende nicht mehr zur Verfügung. ABM müssen auch im SGB II weiter möglich sein. Dafür sind die Ein-Euro-Jobs in Form der MEA anzuschaffen und in sozialbversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln. Die Bundesregierung setzt weiter auf die sogenannten „Ein-Euro-Jobs“ und viel zu wenig auf die Förderung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Sie ignoriert damit auch die Ergebnisse der Forschung zur Wirkung von „beschäftigungsschaffenden“ und beschäftigungsbegleitenden Maßnahmen sowie hinsichtlich der Praxis der „1-Euro-Jobs“ die wiederholte Kritik des Bundesrechnungshofes und den Verstoß gegen das völkerrechtliche Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO).

  • Im SGB II werden kaum langfristige Qualifizierungen, die eine Perspektive bieten, angeboten. Dies muss sich ändern. Ohne Maßnahmen über zwei bis drei Jahre, flankiert durch eine qualifizierte psychosoziale Betreuung, haben viele Arbeitslose im SGB II-Bereich kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

Insgesamt muss die Durchlässigkeit zwischen SGB III und SGB II weiter verbessert werden. Scheidet eine ganzheitliche Betreuung von Anfang wegen unterschiedlicher Zuständigkeiten aus, so können die Träger jedoch schon jetzt Dienstleistungsvereinbarungen treffen, die z. B. eine psychosoziale Betreuung im Anwendungsbereich des SGB III ermöglichen oder den arbeitslosen Menschen mit Behinderungen im Anwendungsbereich des SGB II die Betreuung durch die Rehabilitations-Teams der BA ermöglichen. Die Durchlässigkeit darf nicht den handelnden Personen vor Ort überlassen werden, sondern sie muss verbindlich gestaltet werden.

Am 29. September hat die Konferenz der Staatssekretäre sich darüber verständigt, die Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente mit der Neuorganisation im SGB II-Bereich zu verknüpfen. Den Ländern geht es dabei insbesondere um den Umfang des „Experimentiertopfes“. Die Instrumentenreform wird somit keinesfalls bis zum ursprünglich geplanten Termin am 1. Januar 2009 umgesetzt.


Quelle: Beschluss des ver.di-Bundesvorstandes vom 6. Oktober 2008 zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente – Referentenentwurf vom 3. September 2008


Mittlerweile liegt ein Referentenentwurf vom 3. September 2008 vor – die sie als pdf-Datei hier herunterladen können.

Referentenentwurf zum Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 3. September 2008


Sie können den Beschluss hier auch als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Berufsfortbildungswerk, Bildungsgutschein
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009