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Der Niedergang einer ganzen Branche

Auf den ersten Blick erscheint die Entwicklung erfreulich: Die Zahl der TeilnehmerInnen von Weiterbildungsmaßnahmen, die von der Agentur für Arbeit (BA) und den ARGEn 2007 gefördert wurden, ist deutlich höher als im Vorjahr. Doch der zweite Blick verrät: Bei der Mehrzahl der Bildungsmaßnahmen handelt sich um Kurz- und Kürzestmaßnahmen. Kaum eine davon kann wohl für sich in Anspruch nehmen, einen Bildungs- oder Qualifizierungsprozess in Gang gesetzt und damit die Chancen der TeilnehmerInnen auf dem ersten Arbeitsmarkt tatsächlich verbessert zu haben.

Die Preise für die Kurse sinken derweil weiter. Die Ursache liegt in der fortgesetzten Ausschreibungspraxis der BA. Ausnahme von der Regel sind einzelne Bildungsmaßnahmen, die über Bildungsgutscheine belegt werden. Sie werden im Verhältnis zu den ausgeschriebenen Maßnahmen besser bezahlt; den Trend brechen sie freilich nicht.

Die gesamte Arbeitsmarktpolitik ist völlig unübersichtlich geworden. Die ARGEn sind für die etwa 80 Prozent der Erwerbslosen zuständig, die ALG II beziehen. Jede ARGE plant ihre eigenen Instrumente und Bildungsmaßnahmen – nur gelegentlich in Absprache mit der örtlichen Agentur. So kann es sein, dass im Zuständigkeitsbereich der einen ARGE sehr sinnvolle Bildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen durchgeführt werden, während in der Nachbarkommune eine stattliche Anzahl von 1-Euro-Jobs als die arbeitsmarktpolitische Innovation gefeiert wird. Erst mit der deutlich verzögerten Arbeitsmarktstatistik lassen sich im Nachhinein die Strukturen der Arbeitsmarktpolitik rekonstruieren. Klar ist indessen schon heute: Vielerorts werden die für Weiterbildung vorgesehenen Mittel nur teilweise ausgegeben.

Die Situation der KursleiterInnen und OrganisatorInnen wird immer prekärer: In den vergangenen vier Jahren dürfte sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von ca. 80.000 auf 30.000 bis 35.000 reduziert haben. Immer weniger Beschäftigte fallen noch unter den Schutz eines akzeptablen Tarifvertrages; in vielen Betrieben gelten Notlagen-Tarifverträge. Fast alle Neueinstellungen erfolgen befristet – oft für die wenigen Monate, die eine Maßnahme dauert. Das Gehaltsniveau ist häufig um mehr als 40 Prozent abgesackt, und parallel erleben auch die Honorarkräfte eine ständige Reduzierung ihrer Stundensätze. Inzwischen greift auch in der Weiterbildungsbranche Leiharbeit um sich: ein systematischer Missbrauch des liberalisierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.

Am 7. November trafen sich auf Einladung von ver.di etwa 100 BetriebsrätInnen von Weiterbildungs- und Beschäftigungsträgern sowie aus der beruflichen Rehabilitation zu einer jährlichen Fachtagung in Berlin. Dort standen zum einen neue Ergebnisse der Begleitwissenschaft zur Arbeitsmarktpolitik und zur Evaluation der Hartz-Gesetze auf der Tagesordnung. Noch wichtiger aber war die Diskussion darüber, wie der Niedergang der Branche und der Löhne aufzuhalten ist. Ein zentraler Punkt dafür ist der Branchentarifvertrag Weiterbildung, der einen Mindestlohn sowie Mindestarbeitsbedingungen garantieren soll. Durchzusetzen ist er entweder durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach dem Tarifvertragsgesetz oder durch Aufnahme in das Entsendegesetz.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass sowohl die Vertreterin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) als auch der BA-Vorstandsvize Raimund Becker auf Ignoranz setzen. Zwar sei die BA hier und da (!) über das Ziel hinausgeschossen, so Becker. Doch zu den katastrophalen Auswirkungen der Ausschreibungsverfahrens äußerte er sich ausweichend. Auch Bettina Schattat vom BMAS brachte nicht im Ansatz Sympathie für das Projekt Branchentarifvertrag Weiterbildung auf. „Nur was effizient ist, ist auch sozial!“ so ihr Credo.

Nach dieser Erfahrung muss ver.di nun schnellstens Klarheit erlangen, ob der Branchentarifvertrag Weiterbildung noch mit einer wohlwollenden Unterstützung aus der Politik rechnen kann. Ein erneuter Kraftakt ist in jedem Fall notwendig.

Von Roland Kohsiek


Quelle: biwifo report 3/2007, Zeitschrift des Bundesfachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung in ver.di

Sie können den vollständigen biwifo report hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn, Bildungsgutschein
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009