Ein Mindestlohn in der Weiterbildung – Daten und Fakten

Die mit den Hartz-Gesetzen begründete Ausschreibung und Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) und beträchtliche Einsparungen bei diesen Dienstleistungen haben seit 2004 zu erheblichen Verwerfungen in der Aus- und Weiterbildung geführt. Der damit verbundene Preisverfall für Bildungsmaßnahmen, die der Vergabe unterliegen, führte zu drastischen Lohnrückgängen. Konnten Lehrkräfte, Ausbilder/innen und Sozialpädagogen/innen bis dahin bei Trägern Monatsgehälter zwischen 3.000 – 4.000 Euro brutto analog dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder verdienen, wurden Monatsgehälter zwischen 1.200 und 1.900 Euro brutto für vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer/innen im pädagogischen Bereich bei in der Regel nicht tarifgebundenen Trägern durchaus üblich. Insbesondere bei Trägern, die sich zulasten der Qualität von Maßnahmen bundesweit dem Unterbietungswettbewerb verschrieben haben und den Kostendruck auf ihre Beschäftigten abwälz(t)en. Darüber hinaus ging mit einem drastischen Personalabbau eine Flucht der Arbeitgeber in überwiegend nicht tarifgebundene Tochterunter nehmen einher. Diese Veränderungen setzten das Tarifgefüge in der Aus- und Weiterbildung unter massiven Druck, dem Notlagentarifverträge und Absenkungen der Tarife bis zu 40 Prozent geschuldet sind.

Sowohl die ver.di und die GEW als auch die Zweckgemeinschaft von Mitgliedsunternehmen des Bildungsverbandes – als tariffähiger Arbeitgeberverband – wollten dem Preis- und Lohndumping in der nach den Sozialgesetzbüchern II oder III (SGB II oder III) geförderten Aus- und Weiterbildung ein Ende setzen. Gemeinsam definierten sie die Branche, die in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) aufgenommen werden sollte. Weil es in der Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung keinen Preisverfall gab, verständigten sich die Tarifvertragsparteien (TVP) darauf, den Geltungsbereich auf die Träger zu beschränken, die überwiegend Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen aus- und weiterbilden. Im März 2008 wurde beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein gemeinsamer Antrag der TVP auf Aufnahme der Branche Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach den SGB II oder III in das AentG gestellt.

Damit einem Antrag stattgegeben wird, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Schon auf diesem Wegabschnitt hatte die ver.di, mit der die meisten Tarifverträge in dieser Branche abgeschlossen werden, federführend Daten über die Tarifbindung in der Branche zusammengetragen und mit wissenschaftlicher Begleitung aufbereitet. Im April 2009 beschloss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates, die Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch als eine von sechs neuen Branchen in das AEntG einzubeziehen.

Somit rückten die Arbeitsbedingungen dieser Branche ins öffentliche Bewusstsein. Sie umfasst die Träger der beruflichen Bildung, die überwiegend für Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen im Bereich der außerbetrieblichen Qualifizierung oder der sozialen und beruflichen Integration tätig sind.

Ein Etappenziel war erreicht, aber längst noch nicht das eigentliche Ziel. Nachdem ein gemeinsamer Antrag der TVP auf Allgemeinverbindlicherklärung des Branchentarifvertrages vom 12. Mai 2009 mangels öffentlichen Interesses vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Oktober 2010 abgelehnt wurde, unternahm die Zweckgemeinschaft verstärkt Anstrengungen, die Tarifbindung zu erhöhen und die Bandbreite der vertretenen Arbeitgeber zu erweitern.

In die Zeit zwischen Ablehnung und erneuter Antragstellung fällt der sogenannte Hartz-IV-Kompromiss vom 24.02.2011, bei dem es sich laut Protokollerklärung bzgl. der Branche Weiterbildung um einen Prüfauftrag handelt:
„Im Falle eines neuen Antrags auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Mindestlohntarifvertrages nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der Branche Weiterbildung wird die Bundesregierung die maßgeblichen Verhältnisse erneut eingehend prüfen. Sie wird dabei insbesondere ermitteln, ob sich aufgrund eingetretener Erhöhung der Tarifbindung auf Arbeitgeberseite und der Bandbreite der vertretenen Arbeitgeber eine gegenüber Oktober 2010 geänderte Sachlage ergeben hat.“

Am 30. Mai 2011 reichten die Tarifvertragsparteien erneut einen gemeinsamen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung des Branchentarifvertrages vom 12. Mai 2009 nach dem AEntG ein, der zu diesem Zeitpunkt noch einen Mindestlohn sowohl für Arbeitnehmer/innen im pädagogischen Bereich als auch in der Verwaltung regelte. Vor der für den 9. November 2011 anberaumten Befassung des Tarifausschusses mit dem Antrag der TVP zeichnete sich ab, dass sich die Chancen für eine Zustimmung verbessern könnten, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung nur für einen Mindestlohn für das pädagogische Personal beantragt und für die Arbeitnehmer/innen in der Verwaltung ein eigenständiger Branchentarifvertrag gelten würde. Die TVP zogen ihren gemeinsamen Antrag vom 30. Mai 2011 daraufhin zurück, vereinbarten zwei neue Tarifverträge und beantragten am 17. November 2011 die Allgemeinverbindlicherklärung für den neuen Tarifvertrag zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011.

Unter Federführung der ver.di und wissenschaftlicher Begleitung hatten die Antragsteller knapp 26.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Geltungsbereich des Mindestlohntarifvertrages ermittelt. Diese Berechnung basiert auf der Förderstatistik der BA und auf von der BA vorgegebenen Personalschlüsseln für die Durchführung von Maßnahmen.

Nach Veröffentlichung dieses Antrages im Bundesanzeiger gab es – wie es das Verfahren nach AentG vorsieht – Gelegenheit, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Insbesondere die Gegner dieses Mindestlohns machten davon ausgiebig Gebrauch und stellten beispielsweise die von den Antragstellern ermittelte Anzahl der Beschäftigten im Geltungsbereich des Mindestlohntarifvertrages in Frage. Eigene Berechnungen unter Verwendung zuverlässiger Datenquellen und anerkannter Methoden haben die Gegner des Mindestlohns nicht vorgelegt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war am 5. Juli 2012 bezüglich der Anzahl der Beschäftigten gar folgendes Zitat zu lesen: „Sauber berechnet käme man auf 56 000 bis mehr als 100 000 Gesamtbeschäftigte“.

Der Tarifausschuss befasste sich zweimal mit dem Antrag vom 17. November 2011: Am 21. Februar 2012 und am 10. Mai 2012. Bei beiden Terminen gab er keine Stellungnahme ab. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, leitete daraufhin eine Ressortabstimmung ein. Am 4. Juli 2012 stimmte das Bundeskabinett dem Verordnungsentwurf der Ministerin zu.

Mit der am 20. Juli 2012 erlassenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch wurde der Tarifvertrag zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011 ab dem 1. August 2012 bis 30. Juni 2013 für allgemeinverbindlich erklärt. Das bedeutet, dass die Rechtsnormen bzw. Regelungen dieses Tarifvertrages auch auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer/innen Anwendung finden, sofern sie unter den Geltungsbereich fallen.

Dieser für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag stoppt den Lohnverfall für Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach den SGB II oder III, ist eine wichtige Voraussetzung für faire Wettbewerbsbedingungen in dieser Branche und räumt der Qualität von Bildungsmaßnahmen gerade auch im Wettbewerb einen höheren Stellenwert ein.